Nass und bleischwer hängt der Nebel an diesem Oktobermorgen über den Oldislebener Stallungen. Im Vorwartehof wird es langsam voll: Die üblichen Verdächtigen können es kaum erwarten und haben bereits die Pole-Position vor dem Eingang zum Melkkarussell eingenommen. Von hinten trotten immer mehr Kühe von ihren Schlafboxen herbei. Schließlich öffnet sich das Gatter und das erste Tier betritt das Karussell. Nun dauert es nicht mal eine Minute, bis die Zitzen vorgemolken und gereinigt sind, das Melkzeug angelegt ist, die Milch zu fließen beginnt und der nächsten Kuh Einlass gewährt wird. Nach knapp 10 Minuten hat das Karussell eine Runde gedreht und die erste von 30 gleichzeitig abgefertigten Kühen ist im Schnitt um etwa 17,5 Liter Milch leichter. Zwei Mitarbeiter genügen, um diesen Prozess morgens wie abends für knapp 300 Kühe zu begleiten.

Schnell, sauber, effizient – die konventionelle Landwirtschaft erfordert immer weniger Personaleinsatz. Mit Blick auf die durch Arbeitslosigkeit und Landflucht gebeutelte Kyffhäuser-Region fährt man deshalb in der Agrar GmbH Oldisleben seit vielen Jahren zweigleisig: Mit konventioneller und Öko-Landwirtschaft unter einem Betriebsdach. Die deutlich personalintensivere Öko-Landwirtschaft kann hier, am Osthang der Hainleite, ein Baustein sein, um dem Veröden der Dörfer entgegenzuwirken. „Dank unseres Öko-Betriebsteils fällt es uns leichter, junge Leute für die Landwirtschaft zu begeistern“ erklärt Geschäftsführer Uwe Erl. Mit der Agrar GmbH leitet der 53-Jährige einen der größten Höfe in der Region: 3740 Hektar Gesamtfläche, 25 Mitarbeiter, 4 Azubis.

Klassische Landwirte und Öko-Bauern nicht gegeneinander ausspielen

Uwe Erl Geschäftsführer Agrar GmbH Oldisleben

Im konventionell bewirtschafteten Milchviehbetrieb bricht jetzt der Tag an. Uwe Erl steht im zentralen Mittelgang und muss kurz Platz machen für Gerd Hartwig, der auf der Futtermaschine angerollt kommt. Die funktioniert, abgesehen von der Fahrt vorbei an den Gattern, ebenfalls vollautomatisch und stellt sich die richtige Mischung aus den gewünschten Zutaten selbst zusammen: Genau abgewogene Anteile von Mais- und Anwelksilage, Kraftfutter aus Raps oder Soja, Heu, Futterstroh und Mineralstoffen ergeben die sogenannte Totalmischration, mit der die Tiere hier gefüttert werden. Wie eine Straßenkehrmaschine im Rückwärtslauf bringt sie die Futtermischung vor den hungrigen Mäulern der Tiere aus. Überlegungen, auch die Milch- und Rindfleischproduktion auf Bio umzustellen, hat Erl schon vor Jahren verworfen: Der bürokratische Aufwand der Nachweiserbringung ist enorm, in ganz Thüringen gibt es keinen größeren Öko-Schlachthof und die Gewinne sind gering. De facto liegen die Biomilchpreise trotz des vielzitierten Bio-Booms heute nicht höher als vor 10 Jahren. „Das Angebot auf dem Biomilch-Markt steigt noch schneller als die Nachfrage“, erklärt Erl.

Auch deshalb beschränkt sich der ökologisch wirtschaftende Teil der Agrar GmbH Oldisleben auf den Ackerbau. Überhaupt ist Erl kein Ideologe, kein blinder Öko-Eiferer, für den nur Bio die reine Lehre ist. Dafür weiß er viel zu genau, wo die Stärken und Schwächen der beiden Modelle liegen. So zeigte sich beispielweise in diesem sehr trockenen Sommer, dass der Bio-Anbau extreme Witterungsverhältnisse etwas besser wegstecken kann als der konventionelle Ackerbau. Doch auch im Öko-Ackerbau ist nicht alles eitel Sonnenschein. Ein Versuch mit Bio-Raps vor ein paar Jahren war ein Schlag ins Wasser: „Damals haben sich sämtliche Käfer der Umgebung zum Besuch der einzigen ungespritzten Fläche verabredet“, erinnert sich Erl.

Betriebswirtschaftlich besonders kritisch sieht der 53-Jährige die Vorgabe, auf mindestens 20 Prozent der Bio-Anbaufläche mit stickstoffbindenden Hülsenfrüchten wie Ackerbohnen oder Luzernen den Nährstoffgehalt im Boden zu verbessern und dafür den Dünger wegzulassen. Doch für Erl bedeuten solche Vorgaben vor allem, dass er permanent ein Fünftel seiner Anbaufläche mit kaum oder ganz ohne Gewinn bewirtschaften muss.

Erls Vortrag wird jetzt durch ein Plätschern unterbrochen, das sich kurz darauf zu einem Rauschen steigert. Alle 90 Minuten läuft der sogenannte Schleppschieber ganz langsam durch die Reihen zur Mitte des Stalls, wo Kot und Harn der Milchkühe dann nicht ganz geräuschlos durch ein Gatter im Boden verschwinden. Die Kühe selbst zeigen sich wenig beeindruckt von der sich nähernden Metallschiene. Wie bei einem Hüpfseilsprung in Zeitlupe heben sie nur kurz das Bein, lassen den Schieber passieren und fressen dann in Seelenruhe weiter.

Kaum ist der Güllestrom versiegt, wird die Geräuschkulisse durch ein anderes, sehr viel leiseres Rauschen abgelöst. Nahezu unbemerkt hat sich nun doch noch die Oktobersonne durch den Nebel gekämpft und lässt die Temperatur im Stall ansteigen. Ebenfalls vollautomatisch laufen metergroße Rotoren an und sorgen für einen angenehmen Luftzug. Während seine Kühe entspannt schmatzen, tritt Erl nach draußen und lässt seinen Blick schweifen, von den Silos auf der anderen Seite der Esperstedter Straße, über die endlosen Plattenwege in Richtung seiner Öko-Felder. Für ihn steht fest: „Wir sollten konventionelle und Bio-Landwirtschaft nicht gegeneinander ausspielen. Beides hat seine Berechtigung.“